Aktuelle Beiträge

BGH GRUR 2017, 148 "Hohe Anforderungen an neues Vorbringen in Nichtigkeitsberufung - Opto-Bauelement"

1. Die Wahl einer bestimmten Entgegenhaltung oder Vorbenutzung als Ausgangspunkt für die Lösung eines technischen Problems bedarf grundsätzlich der Rechtfertigung (Bestätigung von BGH GRUR 2009, 382 – Olanzapin; BGH GRUR 2009, 1039 Rn. 20 – Fischbissanzeiger).

2. Für die Beurteilung der Frage, ob ein bestimmter Ausgangspunkt für den Fachmann naheliegend war, ist grundsätzlich ohne Bedeutung, ob andere Ausgangspunkte möglicherweise als noch näherliegend in Betracht kommen.

3. Ein gemäß § 83 I PatG erteilter Hinweis des Patentgerichts, ein in einem Unteranspruch vorgesehenes Merkmal dürfte aus den vorgelegten Dokumenten nicht bekannt sein, gibt dem Nichtigkeitskläger regelmäßig Veranlassung, die Gründe aufzuzeigen, aus denen die Patentfähigkeit für den Gegenstand dieses Unteranspruchs zu verneinen ist.

Der Nichtigkeitskläger kann daraufhin eine ergänzende Recherche durchführen und ergänzend ermittelte Dokumente noch in der ersten Instanz vor dem BPatG ins Verfahren einführen. Die spätere Einführung weiterer Dokumente in der 2. Instanz vor dem BGH ist regelmässig wegen verspätetem Vorbringen nach § 117 PatG nicht möglich, es sei denn es kann schlüssig dargelegt werden, dass die weiteren Dokumente bei der früheren ergänzenden Recherche nicht hatten ermittelt werden können.

BGH GRUR 2017, 66 "Kein Markenschutz für technische Lösung der Würfelform und Gitterstruktur eines dreidimensionalen Puzzles - Simba Toys/EUIPO (sog. Rubik's cube - Zauberwürfel)"

Bei der Beurteilung der Funktionalität der wesentlichen Merkmale einer angemeldeten dreidimensionalen Marke (hier: 3D-Marke "Rubik's cube - Zauberwürfel" für die Ware "dreidimensionale Puzzles") gemäß
 
http://www.hirnsport.de/denksport2/wp-content/uploads/2012/09/rubikon_20120919_hirnsport-1024x503.png
 
die aus der Form der konkreten Ware besteht, ist es nicht ausreichend, diese Prüfung ausschließlich anhand der grafischen Darstellung vorzunehmen, vielmehr muss die technische Funktion gemäß
 
https://rolandroid.files.wordpress.com/2012/03/rubikscube-offen.jpg
 
der konkreten Ware und deren tatsächlicher Benutzung berücksichtigt werden (gemäß Thiering, Frederik GRUR 2018, 30 "Die Rechtsprechung des EuGH und des BGH zum Markenrecht seit dem Jahr 2016"). Diese ging weder aus der Formulierung des Warenverzeichnisses (z.B. in der Form von "drehbaren Puzzles" statt "dreidimensionalen Puzzles") noch aus einer etwaigen der Anmeldung beigefügten Markenbeschreibung hervor.
 
Zur Historie der dreidimensionalen Marke "Rubik's cube - Zauberwürfel" (gemäß Kur, Annette GRUR 2017, 134 "Rubik's Cube - Würfelzauber am Ende?"):
 
"Die Unwägbarkeiten des Lauterkeitsschutzes schienen für Hersteller und Lizenznehmer des Original-Würfels überwunden zu sein, nachdem eine 1996 erfolgte Anmeldung des Zauberwürfels als Warenformmarke beim HABM (heute EUIPO) zum Erfolg geführt hatte: Die Marke wurde 1999 eingetragen und 2006 verlängert, ... der Schutz des Würfels schien in der EU auf Dauer gesichert zu sein. Auch der im November 2006 von der Firma Simba Toys (Kläger) beim HABM eingereichte, auf die technische Bedingtheit der Form sowie auf weitere Gründe gestützte Antrag auf Löschung der Marke änderte daran zunächst nichts. Nichtigkeitsabteilung sowie Beschwerdekammer des Amtes verwarfen den Antrag als eindeutig unbegründet und auch das EuG erteilte dem Löschungsbegehren eine klare Absage. Zu einem anderen Ergebnis kamen jedoch der Generalanwalt und schließlich auch der EuGH: Von beiden wurde dem Löschungsantrag bescheinigt, dass gute Gründe für sein Durchgreifen sprechen, die in der Entscheidung des EuG nicht hinreichend berücksichtigt wurden. Das EUIPO wird sich auf dieser Grundlage erneut mit dem Fall befassen müssen."
 
Diese EuGH-Entscheidung „Rubik’s Cube“ läßt eine deutlich restriktivere Tendenz gegenüber der Markenfähigkeit von Warengestaltungen (3D-Marken) erkennen, als sie von den meisten nationalen Rechtsordnungen sowie vom EUIPO und dem EuG bislang praktiziert wurde.
 
Ausblick auf verbleibende nicht-markenrechtliche Möglichkeiten zum Schutz vor identischen Nachahmungen (a.a.O. GRUR 2017, 141):
 
"Als letztes bleibt zu fragen, ob nach dem zu erwartenden Verlust des markenrechtlichen Schutzes für Rubik’s Cube die Möglichkeit erhalten bleibt, zumindest identische Nachahmungen auf der Grundlage des Lauterkeitsrechts zu verbieten. In der „Lego“-Entscheidung hat der EuGH eine solche Möglichkeit angedeutet, ohne sich dazu inhaltlich zu äußern .... Der BGH hatte im Fall „Lego“ allerdings bereits zuvor entschieden, dass der aufgrund des „Einschiebens in eine fremde Serie“ über längere Zeit gewährte Nachahmungsschutz enden musste. In der Entscheidung „Segmentstruktur“ wurde die jener Fallgruppe sowie den Fällen der „Modeneuheiten“ zugrundeliegende Rechtsprechung, die einen eigenständigen, zeitlich begrenzten Nachahmungsschutz unter dem Aspekt der Behinderung gewährt hatte, ohnehin aufgegeben. Was bleibt, ist der Schutz auf der Grundlage von UWG § 4 Nr. 3 (sowie gegebenenfalls auch UWG § 3 Abs. I), der ohne jede zeitliche Begrenzung gewährt wird. Dies kann jedenfalls dann zu bedenklichen Ergebnissen führen, wenn ungeachtet funktionaler Vorteile der Gestaltung oder des Ablaufs zuvor bestehender Schutzrechte bei identischer oder nahezu identischer Nachahmung eigenartbegründender Merkmale regelmäßig von einer vermeidbaren Herkunftstäuschung ausgegangen wird, selbst wenn der Nachahmer beim Vertrieb in verkehrsüblicher Weise auf die abweichende Herkunft der Ware hinweist. Insoweit weist die Entscheidung „Exzenterzähne“ des BGH in eine ungute Richtung; es ist zu hoffen, dass sich diese Rechtsprechung nicht fortsetzt und verfestigt".

BGH GRUR 2017, 57 "Keine vollständige Nichtigkeitserklärung trotz Verteidigung nur mit bestimmten Anspruchssätzen - Datengenerator"

1. Verteidigt der Patentinhaber das Streitpatent im Nichtigkeitsverfahren nur mit bestimmten Anspruchssätzen, rechtfertigt es die vollständige Nichtigerklärung des Patents, wenn es sich in keiner verteidigten Fassung als insgesamt rechtsbeständig erweist. Bei der Prüfung des Begehrens des Patentinhabers darf jedoch nicht am Wortlaut seiner Anträge gehaftet werden, sondern ist vom Gericht das tatsächlich Gewollte zu ermitteln und hierbei das gesamte Vorbringen des Patentinhabers zu berücksichtigen (im Anschluss an BGH GRUR 2007, 862 – Informationsübermittlungsverfahren II).

2. Stellt der Patentinhaber einen Anspruchssatz zur Entscheidung, der nebengeordnete Ansprüche enthält, die nicht nur wegen unterschiedlicher Anspruchskategorien in einem Nebenordnungsverhältnis stehen, sondern sachlich unterschiedliche Lösungen enthalten, liegt die Annahme regelmäßig fern, der Patentinhaber wolle auch die übrigen Patentansprüche nicht verteidigen, falls sich der Gegenstand nur eines dieser Ansprüche als nicht patentfähig oder ein Anspruch aus anderen Gründen als nicht zulässig oder nicht rechtsbeständig erweise.