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BGH GRUR 2016, 1031 "Enge Voraussetzungen für Einräumung einer Aufbrauchfrist bei Patentverletzung - Wärmetauscher"
1. Die Ermittlung des Sinngehalts eines Unteranspruchs kann grundsätzlich zur richtigen Auslegung des Hauptanspruchs eines Patents beitragen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass Unteransprüche regelmäßig den Gegenstand des Hauptanspruchs nicht einengen, sondern nicht anders als Ausführungsbeispiele lediglich – gegebenenfalls mit einem zusätzlichen Vorteil verbundene – Möglichkeiten seiner Ausgestaltung aufzeigen.
2. Die Einräumung einer Aufbrauchfrist kommt im Patentverletzungsprozess (anders als bei Markenverletzungen) normalerweise nicht und nur dann in Betracht, wenn die sofortige Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs des Patentinhabers auch unter Berücksichtigung seiner Interessen aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls gegenüber dem Verletzer eine unverhältnismäßige, durch das Ausschließlichkeitsrecht und die regelmäßigen Folgen seiner Durchsetzung nicht gerechtfertigte Härte darstellte und daher treuwidrig wäre.
3. Das Klagepatent (DE 196 54 370) hat ein Heizsystem für Fahrzeuge mit offener Personenzelle zum Gegenstand (sog. „Nackenheizung für Cabrios“, vom Hersteller mit System "AIRSCARF" beworben):
Bei den insgesamt drei Beklagten handelt es sich um Unternehmen aus der Automobilbranche. Die Beklagte zu 1 stellt Heizsysteme für Cabrioletsitze her; die Beklagte zu 2 ist ihre Muttergesellschaft. Die streitgegenständlichen Heizsysteme werden in Fahrzeugen verbaut, welche die Beklagte zu 3 herstellt, und außerdem als Ersatzteile geliefert.
BGH GRUR 2016, 921 "Keine Patentverletzung mit äquivalenten Mitteln bei nicht in Patentanspruch aufgenommener Lösungsvariante - Pemetrexed"
1. Eine Patentverletzung mit äquivalenten (also vom Wortsinn abweichenden aber gleichwirkenden, naheliegenden und ergebnisgleichwertigen) Mitteln ist in der Regel zu verneinen, wenn die Beschreibung mehrere Möglichkeiten (also genannte aber nicht beanspruchte Austauschmittel) offenbart, wie eine bestimmte technische Wirkung erzielt werden kann, jedoch nur eine dieser Möglichkeiten in den Patentanspruch aufgenommen worden ist (Konkretisierung von BGH GRUR 2011, 701 – Okklusionsvorrichtung (u.a. zum Verzichtssachverhalt) und BGH GRUR 2012, 45, Rdn 44 – Diglycidverbindung).
2. Eine äquivalente Patentverletzung ist jedoch nicht bereits deshalb zu verneinen, wenn sich eine vom Patent beanspruchte Ausführungsform aufgrund von Angaben in der Beschreibung oder aus sonstigen Gründen zwar nur als spezieller Anwendungsfall eines allgemeineren Lösungsprinzips darstellt, der Fachmann jedoch auf Grund dieser Erkenntnis in der Lage war, weitere diesem Lösungsprinzip entsprechende Ausführungsformen aufzufinden, die jedoch nicht als offenbart oder vom Fachmann mitlesbar ansehbar sind. Dies gilt aber nur, wenn der beanspruchten Ausführungsform nach der Beschreibung auch keine besonderen Eigenschaften zukommen, die für die Verwirklichung der erfindungsgemäßen Funktion von Bedeutung sind.
3. Hierzu der Senat in Rdn. 60, 61 der Entscheidung:
"Entgegen der Auffassung des BerGer. kann der in der Entscheidung „Okklusionsvorrichtung“ entwickelte Grundsatz nicht schon dann auf die Konstellation des Streitfalls übertragen werden, wenn die Verwendung von Pemetrexeddikalium anstelle von Pemetrexeddinatrium durch die Klagepatentschrift nahegelegt ist. Wie ... bereits dargelegt wurde, beruht der genannte Grundsatz zwar auf der allgemeineren Erwägung, dass eine Ausführungsform vom Schutzbereich des Patents ausgeschlossen ist, wenn sie offenbart oder für den Fachmann jedenfalls auffindbar ist, der Leser der Patentschrift aber annehmen muss, dass sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht unter Schutz gestellt werden sollte. Den Grundsatz selbst hat der Senat aber, wie die Revision zutreffend aufzeigt, nur für die Konstellation aufgestellt, dass die Patentschrift selbst mehrere mögliche Ausführungsformen offenbart. Eine Erweiterung auf Ausführungsformen, die auf Grund der Angaben in der Patentschrift auffindbar waren, führte hingegen schon deshalb zu weit, weil die Auffindbarkeit eine Grundvoraussetzung für die Bejahung von Äquivalenz ist und der Einsatz abgewandelter Mittel (somit sonst) folglich niemals zu einer (äquivalenten) Patentverletzung führen könnte."
Es bleibt bei Fragen der Auslegung von Widersprüchen zwischen Patentanspruch und Beschreibung bei Beurteilung des Vorliegens einer äquivalenten Patentverletzung bei den Leitsätzen des Senats gemäß "Okklusionsvorrichtung" (BGH GRUR 2011, 701):
1. Bei Widersprüchen zwischen den Patentansprüchen und der Beschreibung sind solche Bestandteile der Beschreibung, die in den Patentansprüchen keinen Niederschlag gefunden haben, grundsätzlich nicht in den Patentschutz einbezogen. Die Beschreibung darf nur insoweit berücksichtigt werden, als sie sich als Erläuterung des Gegenstands des Patentanspruchs lesen lässt.
2. Offenbart die Beschreibung mehrere Möglichkeiten, wie eine bestimmte technische Wirkung erzielt werden kann, ist jedoch nur eine dieser Möglichkeiten in den Patentanspruch aufgenommen worden, begründet die Benutzung einer der übrigen Möglichkeiten regelmäßig keine Verletzung des Patents mit äquivalenten Mitteln.
Anmerkung: Kommentierungen zur "Pemetrexed"-Entscheidung von Meier-Beck in GRUR 2018, 241 "Pemetrexed: Grundstein einer einheitlichen europäischen Äquivalenzdoktrin?" und von Kellenter in GRUR 2018, 247 "Das Comeback der Äquivalenz: Anmerkungen zur neueren Rechtsprechung zur Äquivalenz in Deutschland und im Vereinigten Königreich"
BGH Mitt 2016, 393 "Gattungsbezeichnungen als Titel von Apps - wetter.de"
1. Titelschutzfähige Werke im Sinne MarkenG III können auch Apps für Mobilgeräte gemäß
sowie Informationsangebote im Internet sein.
2. Der Bezeichnung „wetter.de“ kommt, da sie sich in einer werkbezogenen Inhaltsbeschreibung erschöpft, keine für einen Werktitelschutz hinreichende originäre Unterscheidungskraft für eine App und eine Internetseite zu, auf der ortsspezifisch aufbereitete Wetterdaten und weitere Informationen in Bezug auf das Thema Wetter zum Abruf bereitgehalten werden.
3. Die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für Zeitungs- und Zeitschriftentitel geltenden geringen Anforderungen an die Unterscheidungskraft von Werktiteln können auf Apps für Mobilgeräte und auf Internetangebote, die nicht auch als Printversion erhältlich sind, nicht angewendet werden, weil es (bislang) an einer entsprechenden Verkehrsgewöhnung an die Benutzung von Gattungsbezeichnungen in diesen Bereichen fehlt.