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BGH GRUR 2015, 868 "Auslegung des Patentanspruchs vor Prüfung unzulässiger Erweiterung - Polymerschaum II"
1. Der Prüfung einer unzulässigen Erweiterung muss eine Auslegung des hierauf zu überprüfenden Patentanspruchs vorausgehen, bei der dessen Sinngehalt und insbesondere der Beitrag, den ein streitiges Merkmal zum Leistungsergebnis der Erfindung liefert, zu bestimmen sind.
2. Von der Bestimmung des Erfindungsgegenstands kann nicht mit der Begründung abgesehen werden, ein Merkmal sei unbestimmt und (deshalb) zur Abgrenzung vom Stand der Technik ungeeignet (im Anschluss an BGH GRUR 2009, 653 – Straßenbaumaschine).
EuGH GRUR 2015, 764 "Zur Lizenzierungspflicht bei standardessentiellen Patenten (SEP) - Huawei/ZTE"
1. Art. 102 AEUV ist dahin auszulegen, dass der Inhaber eines gemäß des Standards einer Standardisierungsorganisation geschaffenen standardessentiellen Patents (SEP), der sich gegenüber dieser Organisation unwiderruflich verpflichtet hat, jedem Dritten eine Lizenz zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen, sogenannten FRAND-Bedingungen (fair, reasonable and non-discriminatory), zu erteilen, seine marktbeherrschende Stellung nicht im Sinne dieser Vorschrift missbraucht, wenn er eine Patentverletzungsklage auf Unterlassung der Beeinträchtigung seines Patents oder auf Rückruf der Produkte, für deren Herstellung dieses Patent benutzt wurde, erhebt,
wenn er zum einen den angeblichen Verletzer vor Erhebung der Klage auf die Patentverletzung, die ihm vorgeworfen wird, hingewiesen hat (Initiativpflicht des Patentinhabers) und dabei das betreffende Patent bezeichnet und angegeben hat, auf welche Weise es verletzt worden sein soll,
und zum anderen, nachdem der angebliche Patentverletzer seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen, dem Patentverletzer ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu solchen Bedingungen unterbreitet und insbesondere die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung angegeben hat
und ferner dieser Patentverletzer, während er das betreffende Patent weiter benutzt, auf dieses Angebot nicht mit Sorgfalt, gemäß den in dem betreffenden Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und nach Treu und Glauben, reagiert, was auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte zu bestimmen ist und insbesondere beinhaltet, dass keine Verzögerungstaktik verfolgt wird.
2. Art. 102 AEUV ist dahin auszulegen, dass er es einem Unternehmen in marktbeherrschender Stellung, das Inhaber eines für einen von einer Standardisierungsorganisation normierten standardessenziellen Patents (SEP) ist und sich gegenüber der Standardisierungsorganisation verpflichtet hat, zu FRAND-Bedingungen Lizenzen für dieses Patent zu erteilen, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht verbietet, gegen den angeblichen Verletzer seines Patents eine Verletzungsklage auf Rechnungslegung bezüglich der vergangenen Benutzungshandlungen in Bezug auf das Patent oder auf Schadensersatz wegen dieser Handlungen zu erheben.
Dies kann dem Patentinhaber – zumindest nach deutschem Recht - ggf. die Möglichkeit eröffnen vor oder während der Verhandlungen mit dem Verletzer eine Verletzungsklage zu erheben, um zunächst nur Ansprüche auf Rechnungslegung und die Feststellung der Haftung für aus der Vergangenheit resultierendem Schadensersatz geltend zu machen. Eine solche Klage könnte später erweitert werden, indem Ansprüche auf Unterlassung und weitere korrigierende Maßnahmen geltend gemacht werden
3. Insgesamt bedeutet dies für den Inhaber eines standardessentiellen Patents (SEP), dass zwischen dem Patentbesitzer und dem (angeblichen) Verletzer eine wechselseitige vom Patentbesitzer zu startende Kommunikation stattfinden muss, bevor ein Unterlassungsanspruch und/oder Korrekturmaßnahmen wie z. B. ein Rückruf bei Gericht geltend gemacht werden kann.
4. Unberührt bleibt die Rechtsprechung des Bundesgerichshofs (insb. BGH, GRUR 2009, 694 – Orange-Book-Standard), soweit sie sich nicht auf standardessentielle Patente (SEP) bezieht, sondern auf Patente, die einen "De-Facto-Industriestandard" betreffen.
Hier bleibt ein Vorgehen des Patentinhabers gegen einen mutmaßlichen Verletzer nur dann missbräuchlich, wenn der Beklagte, also der mutmaßliche Verletzer, nicht nur ein unbedingtes Angebot auf Abschluss eines Lizenzvertrages gemacht hatte (Initiativpflicht des möglichen Verletzers), sondern auch gewissermaßen im Vorgriff auf eine Einigung die aus diesem noch abzuschließenden Lizenzvertrag resultierenden Verpflichtungen erfüllte und insbesondere die Lizenzgebühren gemäß seinem Angebot zahlte oder hinterlegte.
Seit der Veröffentlichung der Entscheidung „Huawei/ZTE“ des EuGH vom 16. Juli 2015 erfolgten eine Reihe grundlegender sowie korrigierender Entscheidungen von deutschen Patentstreitkammern und -senaten in Mannheim, Karlsruhe und Düsseldorf (vgl. hierzu im Einzelnen: Block, GRUR 2017, 121 - 18 Monate nach EuGH „Huawei/ZTE“: Die Rechtsprechung der deutschen Instanzgerichte).
Exkurs zur Thematik "Unbedingtes Angebot des möglichen Verletzers":
Gemäß OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe, GRUR 2012, 736 - GPRS-Zwangslizenz II) war dem Patentinhaber ein Sonderkündigungsrecht einzuräumen, falls der mögliche Verletzer einen Nichtigkeitsangriff startet (siehe auch Heusch, GRUR 2014, 745, 747 - Mißbrauch marktbeherrschender Stellungen (Art. 102 AEUV) durch Patentinhaber: "Orange-Book-Standard" und was die Instanzgerichte daraus gemacht haben).
Nun untersagt die 2014 novellierte Gruppenfreistellungsverordnung für Technologietranfer-Vereinbarungen TT-GVO 336/2014 die Einräumung eines derartigen Sonderkündigungsrechts für Nichtexlusivlizenzen (siehe hierzu auch Besen et al, GRUR 2014, 740, 742 - Die neue TT-GVO - Überblick über wesentliche praxisrelevante Änderungen).
Da dem Patentinhaber somit ein Verteidigungsmittel gegen einen möglichen Nichtigkeitsangriff untersagt ist, darf konsequenterweise ein unbedingtes Angebot gemäß BGH "Orange-Book-Standard" vom möglichen Verletzer nicht mehr unter der Bedingung der Feststellung der Wirksamkeit (also "Nicht-Nichtigkeit") abgegeben werden (so auch Körber "Die EuGH-Entscheidung Huawei/ZTE" - Vortrag GRUR Bezirksgruppe Bayern vom 15.12.2015 - Skript Seite 8).
BGH GRUR 2015, 822 "Anforderungen an Kostenerstattung für Abschlussschreiben - Kosten für Abschlussschreiben II"
1. Ein Anspruch auf Kostenerstattung für ein Abschlussschreiben setzt voraus, dass der Gläubiger vor dessen Übersendung eine angemessene Wartefrist von mindestens zwei Wochen nach Zustellung des Urteils, durch das die einstweilige Verfügung erlassen oder bestätigt worden ist, an den Schuldner abgewartet hat.
2. Um die Kostenfolge des 93im Hauptsacheverfahren zu vermeiden, muss der Gläubiger dem Schuldner außerdem eine Erklärungsfrist von im Regelfall mindestens zwei Wochen für die Prüfung einräumen, ob er die Abschlusserklärung abgeben will, wobei die Summe aus Warte- und Erklärungsfrist nicht kürzer als die Berufungsfrist ( 517) sein darf.
3. Eine dem Schuldner gesetzte zu kurze Erklärungsfrist setzt eine angemessene Erklärungsfrist in Gang; der Kostenerstattungsanspruch des Gläubigers für das Abschlussschreiben bleibt davon unberührt.
4. Ein Abschlussschreiben ist im Regelfall mit einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG zu vergüten.