Aktuelle Beiträge

BGH GRUR 2015, 603 "Keine Erstbegehungsgefahr bei Produktpräsentation auf Fachmesse - Keksstangen"

1. Eine Erstbegehungsgefahr des Bewerbens, Anbietens, Vertreibens und Inverkehrbringens gegenüber inländischen Verbrauchern folgt nicht ohne Weiteres aus der Präsentation des Produkts (hier: Keksstangen) auf einer internationalen, ausschließlich dem Fachpublikum zugänglichen Messe.

2. Die bei einem Fachpublikum vorhandenen Kenntnisse der am Markt vertretenen Produkte, ihrer Gestaltung und ihrer Herkunft stehen auch im Hinblick auf nahezu identische Nachahmungsprodukte regelmäßig der Annahme einer unmittelbaren Verwechslung mit dem Originalprodukt und der irrtümlichen Annahme von geschäftlichen oder organisatorischen Beziehungen zwischen den beteiligten Unternehmen entgegen, wenn die Produkte in Packungen mit gegenüber dem Originalprodukt deutlich unterschiedlichen Herkunftshinweisen vertrieben werden.

BGH GRUR 2015, 573 "Entrinnbare Falle - keine Stützung der Patentfähigkeit durch nicht-ursprungsoffenbartes Merkmal - Wundbehandlungsvorrichtung"

Ein mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteiltes europäisches Patent ist nicht deshalb für nichtig zu erklären, weil der Patentanspruch ein Merkmal enthält, das in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart ist, sofern dieses Merkmal zu einer Beschränkung des Schutzgegenstands und nicht zu einem Aliud führt. Bei der Prüfung der Patentfähigkeit ist das nicht-ursprungsoffenbarte Merkmal insoweit außer Betracht zu lassen, als es nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden darf (Fortführung von BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 18 ff. – Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 24 ff. – Integrationselement).
 
Anders hierzu das EPA nach G01/93 (sog. „unentrinnbare Falle“): enthält ein europäisches Patent in der erteilten Fassung ein Merkmal, das entgegen Art. 123 Abs. 2 EPÜ mit einer unzulässigen Erweiterung patentiert wurde, so kann dies wegen Art. 123 Abs. 3 EPÜ im nachfolgenden Einspruchsverfahren nicht wieder durch Streichung dieses Merkmals geheilt werden, wenn dies mit einer Erweiterung des Schutzbereichs verbunden ist. Im Ergebnis droht der Widerruf des gesamten Patents.
 
Nach gegenteiliger Auffassung des BGH gebiete das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) nationalen deutschen Gerichten hingegen keine vollständige Vernichtung des deutschen Teils eines europäischen Patents, wenn einem Nichtigkeitsgrund auch durch Teilvernichtung Rechnung getragen werden kann. Hingegen gebiete es die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes (Art. 14 GG), Eingriffe in den Bestand des Schutzrechts auf das erforderliche Maß zu beschränken. Dem werde die bisherige Praxis zu deutschen Patenten besser gerecht, so dass sie auch auf den deutschen Teil europäischer Patente zu erstrecken sei.
 
Die deutsche Praxis hat der BGH zuletzt in seiner o.g. Entscheidung „Winkelmesseinrichtung“  klargestellt. Demnach kann ein unzulässig erweiterndes Merkmal sogar im Patentanspruch verbleiben, wenn es zur Einschränkung des Patentanspruchs führt und nicht auf ein Aliud gerichtet ist. Es bedarf nicht einmal mehr der Aufnahme eines Hinweises in die Patentschrift, dass aus der Einfügung des unzulässig erweiternden Merkmals keine Rechte hergeleitet werden können. Letztere sog. frühere „Fußnoten-Lösung“ hatte sich bis dahin mit der Entscheidung  des Bundespatengerichts „ Flanschverbindung“ (BPatG Entscheidung v. 28.06.1988 – 12 W (pat) 6/88) als geeigneter Ausweg aus der damit entrinnbaren Falle in der deutschen Rechtsprechung etabliert.
 
 

 

BGH GRUR 2015, 467 "Mittelbare Patentverletzung durch im Ausland ansässige Lieferanten - Audiosignalcodierung"

1. Ein Mittel ist kein wesentliches Element der Erfindung im Sinne von PatG § 10 I, wenn es (nur) zur Verwirklichung eines Verfahrensschritts eingesetzt wird, der den im Patentanspruch eines Verfahrenspatents vorgesehenen Schritten vorausgeht (und selbst im Patentanspruch nicht genannt ist) . Dies gilt auch dann, wenn der vorgelagerte Schritt notwendig ist, um die im Patentanspruch vorgesehenen Schritte ausführen zu können, und wenn das Mittel auf Grund seiner konkreten Ausgestaltung ausschließlich zu diesem Zweck eingesetzt werden kann.

2. Ein Mittel, mit dem bestimmte Verfahrensschritte bei der Übertragung eines Audiosignals ausgeführt werden, bezieht sich nicht auf ein wesentliches Element der Erfindung, wenn das Patent zwar ein Übertragungsverfahren schützt, im Patentanspruch aber nur andere Schritte dieses Verfahrens näher festgelegt sind und die Ausgestaltung der Verfahrensschritte, auf die sich das Mittel bezieht, für die Verwirklichung der Erfindung nicht von Bedeutung ist.

3. Wer im Ausland ein Mittel, das sich auf ein wesentliches Element der Erfindung bezieht, an einen Dritten liefert, der es mit seinem Wissen und Wollen zur Benutzung der Erfindung in Deutschland weiterliefert, veranlasst eine Lieferung des Mittels im Geltungsbereich des Patentgesetzes.