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BGH GRUR 2018, 832 "Keine Designverletzung da eingeschränkter Schutzumfang eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters - Ballerinaschuh"
1. Modelle, die über eine Internetseite dem allgemeinen Publikum zum Kauf angeboten werden, gehören zum vorbekannten Formenschatz, von dem der interessierte Benutzer Kenntnis nehmen kann, und sind bei der Prüfung des Schutzumfangs eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters zu berücksichtigen.
2. Umstände, die den Schutzumfang eines Geschmacksmusters zu schmälern geeignet sind, gehören grundsätzlich nicht zu den Tatsachen, die der klagende Schutzrechtsinhaber von sich aus offenbaren muss. Es obliegt vielmehr dem aus dem Geschmacksmuster in Anspruch genommenen Beklagten, hierzu vorzutragen.
3. Stellt derjenige, der unberechtigt wegen einer Schutzrechtsverletzung abgemahnt worden ist, infolge der Verwarnung den Vertrieb des beanstandeten Produkts ein, ist wegen des in der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung liegenden Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb auch der Schaden ersatzfähig, der dem Verwarnten infolge der Vertriebseinstellung nach Erhebung einer Klage wegen der Schutzrechtsverletzung entsteht.
Die Kl. ist ein spanisches Unternehmen, das Schuhe herstellt und vertreibt. Sie ist Inhaberin des beim EUIPO seit dem 3.5.2010 für Schuhe und Schuhsohlen eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters Nr. 001 212 351-0004 (Klagemuster), das in drei Ansichten einen gelben Ballerinaschuh mit einer zweifarbigen Sohle zeigt:
Die Bekl. zu 1, ein deutsches Unternehmen, bot im Jahr 2014 folgendes Schuhmodell an:
Sie wurde von der in den Niederlanden ansässigen Bekl. zu 2 beliefert. Nach Behauptung der Kl. lieferte die in China geschäftsansässige Bekl. zu 3 das angegriffene Schuhmodell nach Deutschland.
Das LG Düsseldorf hat (als 1. Instanz) der auf das Gemeinschaftsgeschmacksmuster gestützten Klage stattgegeben ).
Nachdem die Bekl. zu 1 im Berufungsverfahren (2. Instanz) auf das von der Kl. im Internet angebotene, nachfolgend abgebildete Schuhmodell
(als ins Verfahren eingeführter vorbekannter Formenschatz) aufmerksam geworden war, hat sie in der Berufungsinstanz widerklagend die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung der Kl. wegen unberechtigter Schutzrechtsverwarnung verlangt.
Das BerGer. hat daraufhin die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben (I-20 U 134/15). Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstrebte die Kl. die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils und die Abweisung der Widerklage. , Urt. v. 12.7.2016 – Az
Die Revision wendet sich jedoch ohne Erfolg gegen die Ansicht des BerGer., der Kl. stünden keine Ansprüche aus ihrem Klagemuster zu, weil die angegriffene Ausführungsform das Klagemuster nicht verletze.
Das BerGer. hat zurecht angenommen, im Hinblick auf den erstinstanzlich zugrunde zu legenden vorbekannten Formenschatz sei das LG zwar zu Recht von einem weiten Schutzumfang des klagemusters ausgegangen. Unter Berücksichtigung des im Berufungsverfahren eingeführten vorbekannten Formenschatzes sei dagegen nur von einem durchschnittlichen Schutzumfang auszugehen.OLG Düsseldorf GRUR 2018, 814 "Sachlicher Umfang eines Vorbenutzungsrechts - Schutzverkleidung für funktechnische Anlagen"
1. Veränderungen an einer vorbenutzten Ausführungsform, die sich innerhalb einer wortsinngemäßen Verwirklichung des Patentanspruchs bewegen, sind von einem Vorbenutzungsrecht gemäß §12 PatG umfasst, wenn die Abwandlung in Kenntnis der Ausführungsform und vor Offenbarung des Patents, dem gegenüber das Vorbenutzungsrecht geltend gemacht wird, für den Fachmann ohne schöpferische Tätigkeit auffindbar waren.
2. Es liegt bei einem Vorrichtungsanspruch eine unmittelbare Vorbenutzungshandlung vor und ist daher vom Vorbenutzungsrecht gedeckt, wenn der Vorbenutzer, der im Rahmen der Vorbenutzung sämtliche Bestandteile für eine Vorrichtung an einen Dritten lieferte, dazu übergeht, die Vorrichtung selbst herzustellen, sofern das vormalige Zusammenfügen beim Abnehmer zur geschützten Gesamtvorrichtung sicher vorhersehbar und einfach zu bewerkstelligen war.
3. Die Lieferung von Gegenständen an einen Dritten zur Durchführung eines patentgeschützten Verfahrens, dem gegenüber das Vorbenutzungsrecht geltend gemacht wird, ist grundsätzlich eine mittelbare Vorbenutzungshandlung. Der mittelbare Vorbenutzer darf regelmäßig nicht zu einer unmittelbaren Benutzung übergehen. Ausnahmsweise ist er zu einer unmittelbaren Benutzung befugt, wenn er vormals sämtliche Bestandteile zur Ausführung des Verfahrens geliefert hat und die gelieferten Mittel technisch und wirtschaftlich sinnvoll überhaupt nur patentgemäß eingesetzt werden konnten. Liegen diese Voraussetzungen vor, darf der mittelbare Vorbenutzer sowohl seinen bisherigen Abnehmern als auch beliebigen Dritten das Mittel anbieten und sie beliefern, wobei sämtliche Abnehmer zur unmittelbaren Benutzung der Erfindung berechtigt sind. Darüber hinaus ist er unter diesen Voraussetzungen berechtigt, das patentgeschützte Verfahren selbst anzuwenden.
BPatG GRUR 2018, 803 "Berechnung der Zwangslizenzgebühr - Isentress II"
1. Da es sich bei der Bemessung der Lizenzgebühr für eine Zwangslizenz anbietet, sich an derjenigen Lizenzgebühr zu orientieren, die unter den Umständen des jeweiligen Einzelfalls in einem Lizenzvertrag vereinbart würde (vgl. BGH, 28 – Raltegravir), können bei einer solchen fiktiven Vereinbarung neben dem im jeweiligen Produktbereich üblichen Lizenzgebührenrahmen auch Umstände berücksichtigt werden wie ein im Einzelfall bestehendes besonderes Drohpotenzial des Patents, ebenso weitere Faktoren wie etwa der Beitrag des Wirkstoffpatents zur Entwicklung des von der Zwangslizenz erfassten pharmazeutischen Wirkstoffs oder die Mitbenutzung eigener Schutzrechte des Lizenznehmers. Diese wirken sich – je nachdem – erhöhend oder erniedrigend auf die Lizenzgebührenhöhe aus.
2. Bei der im Rahmen der Bemessung der Lizenzhöhe unter Umständen vorzunehmenden Beurteilung des Beitrags, den das Patent zur Entwicklung des durch die Zwangslizenz erlaubten Vertriebs eines Arzneimittelwirkstoffs leistet, ist danach zu fragen, welche Weiterentwicklung ausgehend vom Offenbarungsgehalt des Patents (fiktiv) noch zu leisten ist, um zum lizenzierten Wirkstoff zu gelangen. Hierbei sind etwaiger weiterer Stand der Technik, ebenso wie etwaige Eigenentwicklungen des Lizenznehmers nicht zu berücksichtigen.
3. Zu den Faktoren, die sich bei einer Zwangslizenz erhöhend für die Lizenzgebühr auswirken, können etwa die fortbestehende Angreifbarkeit des Patents und die erzwungene Hilfe für ein Konkurrenzunternehmen gehören, weniger hingegen der Entfall typischer Nebenpflichten in vertraglichen Lizenzvereinbarungen oder die in VI PatG vorgesehenen Möglichkeiten der Anpassung oder der Rücknahme oder Anpassung der Zwangslizenz.
4. Die Festsetzung der Höhe der Lizenzgebühr für eine Zwangslizenz kann im Wege der Schätzung ( und I II ZPO iVm PatG I) unter Berücksichtigung der zur Bemessung der Lizenzhöhe entwickelten Grundsätze und der von den Parteien dazu vorgetragenen Anhaltspunkte erfolgen.
Anmerkung zur BPatG-Entscheidung "Isenstress I" (GRUR 2017, 373) von Stierle, GRUR 2017, 383.